dagmar weiss

GASTSPIEL

Das Zimmer war nur sehr matt beleuchtet, mir ist nirgendwo eine Lampe oder andere Lichtquelle aufgefallen. Die dämmerige Atmosphäre schien mir wie eine feste Umarmung, sie hielt alles eng umschlossen. Vorhänge gab es, wenn ich mich recht erinnere, nicht, aber diverse Möbelstücke und die abstrakten Silhouetten von undefinierbaren sperrigen Gegenständen lungerten im Halbdunkel um mich und verdeckten den Blick auf das Fenster. Auch hinter dem Glas war die Sicht von Mauern, Zäunen und Ästen versperrt, nur ganz oben links schimmerte eine winzige Ecke Himmel hindurch, das einzige verbleibende Zeichen der Welt außerhalb.
Dieses kleine unvorstellbar weit entfernte Stück Luft, das ich von meinem Sitzplatz am Boden sehen konnte, war aber von einem so intensiven Hellblau, kalt und klar, dass es mir vollkommen unwirklich schien, in der schummerigen Umgebung.

Ich saß mit angezogenen Beinen an das Kopfende des Bettes gelehnt auf dem abgewetzten Teppichboden; meine Ellbogen lagen auf meinen Knien, um meine Hände in der richtigen Position zu halten, und direkt vor mir, auf einem kleinen wackeligen Hocker, hatte ich mir seine elektrische Schreibmaschine zurecht gerückt.

Er lag direkt hinter mir auf dem Bett, ich spürte wie nah sein Kopf meinem eigenen war, gerade eine Handbreit entfernt, schräg hinter mir. Er lag entspannt auf dem Rücken, die Hände auf der Brust verschränkt und den Kopf leicht nach hinten überstreckt auf einem im Nacken zurechtgeknautschten Kissen. Den Blick hatte er nach oben gerichtet und dorthin ließ er seine Stimme treiben. Die Sätze und Worte perlten aus seinem Mund, hinauf an die Zimmerdecke und von da aus verteilten sie sich über den ganzen Raum, während sie langsam wieder gen Boden sanken. Die schummerige Luft schien zu vibrieren, war dicht von ihren flüchtigen Schatten.

Er sprach ohne Pause, aber in den kurzen Zwischenräumen zwischen den Worten konnte ich seinen Atem hören, nah an meinem Ohr. Es klang wie unterdrücktes Lachen, als feixte er unablässig still vor sich hin, während er seine Worte um mich auswarf.

Er sprach und ich schrieb. Ich schrieb so schnell ich vermochte, um mitzuhalten mit dem steten Fluss seiner Wörter und Sätze. Meine Finger wirbelten hektisch über die Tastatur, und das mechanische Klacken der Tasten vermischte sich mit dem Klang seiner Stimme.
Meine Finger waren nicht schnell genug, die Tastatur war mir fremd.
Am meisten vermisste ich die mir vom Computer vertraute Taste zum Löschen der Eingabe, aber auch ein paar Buchstaben schienen mir vertauscht oder verrutscht. Zudem waren die Tasten extrem druckempfindlich; ständig berührten meine Finger versehentlich die eine oder andere, so dass ich wahllos zusätzliche Buchstaben tippte. Der Ton dieser unabsichtlichen Tastendrucke ließ mich jedes Mal zusammen zucken und riss mich aus der Konzentration. Im Grunde genommen verschrieb ich mich am laufenden Band. Es gab keinerlei Möglichkeit meine Fehler zu korrigieren, ich musste alles stehen lassen, wie es war, um meine Finger schnell dem nächsten Satz hinterher springen zu lassen. Mein nach vorn gebeugter Rücken war fest vor Anspannung.
Das meiste, das er sagte, klang sinnlos in meinen Ohren, so dass ich das Gesprochene blind aus der Luft griff; meine Finger drückten es ohne Gespür einer Bedeutung in die Tasten, durch die klackende Maschine.
Scharfkantig und deutlich erschien Wort für Wort auf dem bleichen Papier, nur der Inhalt blieb unklar.

Es schien mir eine Art Spiel, das wir spielten, und ich spielte fraglos mit, obwohl ich ganz offensichtlich dabei war zu verlieren- ich produzierte seitenweise kryptischen Text ohne im geringsten zu verstehen, was er mir mitteilten wollte; falls er mir etwas mitteilen wollte.

Mein Scheitern manifestierte sich in Haufen von unordentlichen Blättern, voll verschrobener, fehlerhaften Zeilen und vielleicht lachte er mich leise aus, dort hinter meinem Rücken.
Aber es machte mir gar nicht so viel aus. Alles ging eben nach bestimmten Regeln vonstatten, die ich erahnen konnte wie die Schemen des Zimmers. Meine vollgetippten Blätter segelten schließlich leise auf den Boden, wo sie durcheinandergeworfen liegen blieben, unbeachtet.
Die Blätter breiteten sich über die räudigen Stellen im Teppich; die Worte schwebten in der Luft, getragen von arrhythmischem Klacken. Meine Finger hüpften ohne Müdigkeit, Blatt um Blatt blieb auf dem Boden liegen und in der Ferne stand der helle Himmel, zeitlos.

Inmitten seines Redeflusses, ohne den Tonfall oder das Tempo zu ändern, stellte er ganz ohne Vorwarnung auf einmal eine Frage. Die Frage fiel aus der Zeitlosigkeit, plötzlich schienen mir seine Worte direkt und klar an mich gerichtet, so dass ich erschrak und meine Hände inne hielten.
Genau gleichzeitig mit dem Geräusch des Tippens verstummte seine Stimme, ein deutlich ausgesprochenes Du blieb wie Dunst in der Luft.

Ich wendete mich zu ihm, den Mund schon leicht geöffnet, um zu antworten, und sah, dass er nicht mehr an die Decke starrte, sondern mich direkt anschaute.
Er schaute regungslos, mit weit geöffneten Augen und sein blanker unverhüllter Blick ließ mir alles, was ich hatte sagen wollen, im Hals stecken bleiben.
Zuvor hatte ich gespielt und vielleicht verloren, aber jetzt war eine Regel gebrochen. Ich schluckte.
Ich wusste sein Schweigen nicht zu schreiben; ich würde also ungelenk, mit steifen Gliedern aufstehen und mich mit vorsichtigen Schritten, aber ohne zu stocken auf den Weg machen, zurück nach draußen in das ferne klare Blau.